T e x t e
Die natürliche Kunst ist die, so man lernet der Natur Kräfte und Werk erkennen
(aus: Joachim Tanckius, >Promptuarium Alchemiae<, 1610)
"Das soll viel mehr geschehen und geschieht doch zum wenigsten oder gar nicht, daß ein Philosophus aller Dinge Natur, soviel ihm möglich ist, erkennen lernt. Denn die natürliche Kunst ist die, so man lernet der Natur Kräfte und Werk erkennen.
Es trug sich auch einmal zu, daß ich eine große Kröte gesehen habe, über der ließ sich eine große Spinne von oben herunter und sticht sie. Die Kröte tut einen hellen Pfiff, läuft auf, schwillt an und kriecht, kaum daß sie es vermag, zu einem Kräutlein Wegebreit (lateinisch Plantago genannt). Von dessen Blättern ißt sie und wird alsbald gesund, und die Geschwulst ihres Leibes setzt sich, sodaß nichts mehr davon zu spüren gewesen.
Da machte sich die Kröte zum andern mal auf und hüpfet wieder dorthin. Wie sie kommt, läßt sich die Spinne gar geschwinde wieder hernieder und sticht sie abermal. Die Kröte aber tut wieder einen hellen Pfiff, läuft abermals dick auf und macht sich wieder zu dem vorigen Kräutlein Wegebreit. Und wie sie abermal davon gegessen, geneset sie und wird gesund. Sie läßt auch zum drittenmal nicht ab, und wieder ist die Spinne geschwind vorhanden und sticht sie. Die Kröte tut wieder einen hellen Pfiff, läuft auf und eilt zurück zum Kraut Wegebreit.
Allhier mag sich ein Philosophus und Medicus üben und die Ursachen anzeigen. Woher kommt dieser Streit zwischen der Spinne und der Kröte? Auf welche Weise ist der Spinne Gift kräftiger und mächtiger, als der Kröte Gift. Worin liegt die Kraft und Tugend des Wegebreit, daß es so geschwinde der Spinne Gift wegnimmt? Warum löscht und stillt der Hirsch das Gift der Schlange mit einem Trunk frischen Wassers? Warum operiert das Gift der Spinne so schnell im Leib der Kröte und weicht dann dennoch so geschwind Gift und Geschwulst nur durch des Kräutleins Anbiß? Die Feindschaft zwischen Spinne und Kröte ist wohl Etlichen wissend.
In solchen Künsten haben die Alten studiert. Darin steckt große Weisheit verborgen und auch, wie der Mensch sich halten soll in seinem Leben. Aber dieser Kunst gedenkt man jetzo nicht (...) und es wissen die Bauern mehr davon.
Die Wahrheit in solchen (und unzähligen mehr) Dingen ist am Tage und kann nicht geleugnet werden, es sei denn einer spricht, daß der Tag finster und die Nacht licht wäre. Wer aber die Magiam naturalem weiß und darin so kundig ist, wie die Weisen, die aus dem Orient zu Christo kamen, der kann selbst der Lehrer und Magister von Aristoteles und Galen mitsamt deren Schülern sein. Gott aber gibt dieses Verständnis nicht allen Menschen, sondern nur den Frommen und die Ihn darum bitten. Die eine böse Art haben, dürfen sich darum gar nicht kümmern.
Dergleichen mehr unzählige Werke der Natur sind unsere Lehrmeister. Sie erklären des Menschen Natur und Wesen in vielen Dingen. Der Schüler muß jederzeit in seinem Studieren und Meditieren (über die Schriften) auf die Natur sehen und ihre geheime Wirkung betrachten. Tut er solches nicht und weicht davon ab, dann gebiert er Monstra und bringt Mißgeburt. Daneben muß auch die Handarbeit einhergehen und mit Verstand geübt werden, auf daß, wenn geirret worden, der Irrtum aus der Practica billich corrigirt werden möge.
Insgemein alle Künste, so mit den Metallen und Mineralien umgehen, fließen aus der Alchymey und erkennen dieselbe als ihre Mutter und Gebährerin. Wie denn sonsten aus der Alchymey vielerlei Künste und herrliche Bereitung vieler Sachen entspringen.
Denn die Alchymia ist ein sonderlich Geschenk und Gabe Gottes des Allmächtigen, wie solches auch bezeugen der Philosophen Schriften und die Bücher nicht allein derer, so diese Kunst selbst beschrieben, sondern es ist auch klärlich zu vernehmen aus den Poeten, welche die philosophischen, parabolischen und allegorischen Gedichte, darinnen auch diese Geheimnisse verborgen sind, zusammen getragen und ihre Bücher damit gezieret und wie Kleinodien darein versetzet.
Ich habe, günstiger Leser, von den hohen Würden und großen Nutzbarkeiten der Alchymey klärliche Meldung getan, nämlich daß sie dem Medico und Kranken so hochnötig, (...) sie sondert ab das Böse vom Guten, damit das Gute eine nützliche Arzney und das Böse weggetan werde. Über dieses ist sie vielen Künsten dienlich, so ihrer nicht wohl entraten können, als Goldschmieden, Mahlern, Bergleuten, daß ich geschweige, daß dadurch groß Reichtumb kann erlanget werden. Ob nun solches wenigen wiederfahren, so muß man es zum Teil Gott zuschreiben, der nicht will, daß wir alle gleich reich sollen sein. Zum andern Teil mangelt es an Erfahrenheit und Schicklichkeit, in dem etliche aus Geiz und Unverstand der Natur wider die Natur arbeiten (...).“
Joachim Tanckius, 1610