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Die Grund-Erlernung dieser Kunst, und die Hervorbringung ihrer Werke, wird wie alle anderen Künste aus der Natur abgesehen ...
aus: Christoph Glaser, >Chymische Artzney- und Werck-Schul< 1677
„Die Grund-Erlernung dieser Kunst, und die Hervorbringung ihrer Werke, wird wie alle anderen Künste aus der Natur abgesehen und wurde von den Meistern dieser Kunst so erlernt, denn das ganze Werk und die Arbeit der Natur ist eins. Es ist allein damit beschäftigt, daß sie vermittels der Faulung die Körper der
Samen aufschließt und selbige in ihrem Bauche mit Hilfe der inneren und äußeren Wärme kocht, reinigt und zeitigt und in ihre möglichste Vollkommenheit versetzt.
Es besteht also die Vollkommenheit aller natürlichen Dinge in einer Zeitigung, Reinigung, Kochung und
Aufschließung des Samens. Durch diese vierfache Arbeit wird der verschlossene Kraft-Punkt in des Samens Körper von seinen Banden entbunden, aus dem Centro in die Circumferenz gebracht, von der himmlischen Kraft gespeist und gereinigt, und wird in seine zeitige Vollkommenheit versetzt. Dieses ist nun der Lauf der Natur, oder: so ist das Rad der Natur gestaltet.
Die Betrachtung, Nachforschung und Erkenntnis der Herumtreibung dieses Rades ist allein der mächtige und gültige Schlüssel, welcher die Pforten der geheimen Künste aufschließen und den Eingang in selbige zuwege bringen kann. Durch die Erkenntnis dieses Schlüssels haben die Alten und verständigen
Naturkundigen nicht allein die wunderbare große und kleine Welt samt ihren Creaturen, sondern auch den Allmächtigen Schöpfer selbst auf gewisse und sichere Art erlernt und erkannt. Dieses war ihr Weg zu allen Kunst-Erfindungen – ja mit einem Wort – ihre Weisheitsschule, deren Lehrmeister ein nüchternes,
fleißiges, nachsinnendes und reines Gemüt fordern. Denn in dieser Schule werden keine Wahnsätze und Streitmeinungen, sondern unumstößliche Gründe als erkannte und unbestreitbare Wahrheiten gelehrt und angenommen. Wer in dieser Schule nicht studiert und seinen Lernfleiß darin nicht angewendet hat, der mag auch kein Naturverständiger, noch weniger ein Diener derselben, genannt werden. Denn sie – diese Kunst-Meisterin Natur – nimmt keinen zu ihren Dienern auf, welcher seine Anfangs-Grundlernung anders, als von ihr selbst empfangen hat. Diese Lehrerin ist an keine Zeit und gedruckten Bücher gebunden, sondern sie unterrichtet ihre aufmerksam lernenden Schüler mit solcher Geschicklichkeit und Nachdruck allenthalben in allen, ja auch in den allerkleinsten Dingen, daß sie mehr in einem Tag von ihr lernen, als anderswo in einem oder mehr Jahren.
Aus dieser Schul ist auch diejenige Kunst, welche man gemeinhin die Alchymie, oder die feuerkünstige
Natur-Zerlegung, nennen kann, obwohl sie eigentlich in der Zerlegung, Kochung und Reinigung, wie auch in der Zusammensetzung der zerlegten, gekochten und gereinigten Teile der natürlichen Dinge besteht.
Was nun die alten Philosophen bemüßigt hat alleine in dieser Kunst all ihren Arbeitsfleiß anzuwenden und diese auch für die allervortrefflichste, vor allen anderen, zu halten, ist das:
Unter allen Vergnüglichkeiten, welche nächst Gott das menschliche Gemüt in diesem zerbrechlichen und vergänglichen Leben betreffen können, ist gewisslich diejenige nicht die geringste, welche die Macht hat, und – sofern wir in ihrem Besitz sind – eine beharrliche und genüßliche Gemütsfreude zu verursachen. Denn diese Art der Genießung und Freude sind der Ruhepunkt aller begierlichen Bewegungen, nach welchen die Gemüter der Menschen laufen wollen, begehren und herumgetrieben werden. So wie das Wollen und der Lauf der menschlichen Gemüter ist, so sind auch ihre Begehrlichkeiten: Bei dem Einen flüchtiger, unnützer und geringer als bei dem Andern. Diejenigen Menschen, welche keine anderen als
Leibes- und Glücksgüter erkennen, die halten es für törricht eine andere Freude und Genießung als in solchen Gütern zu suchen. Alleine – wie ihre Erkenntnis ist, so ist auch ihre Freude und Genießung so nichtig und flüchtig, daß sie sich jämmerlicherweise der Freude kaum übern andern Tag erinnern mögen.
Andere hingegen, welche eine edlere und höhere Erkenntnis von den Gemütsgütern haben – und besonders, wenn sie den unsterblichen Adel der unsterblichen Seele auch nur ein wenig erkennen – solche achten es unwürdig und gering alle diese anderen Sachen zu besitzen, welche ihnen keine beharrliche
Genießung und Freude zuwege bringen können. Das Gemüt der Verständigen ist gleich einem König, welcher, so man ihm einen Schau-Pfenning reicht, wegen des geringen Wertes kaum eine freundliche Mine an sich spüren läßt, da hingegen eine geringere Person große Freude daran haben würde.
Die Erkenntnis des wunderbaren Wesens in der Natur und in allen natürlichen Dingen hat also auch
die wahren Philosophen mit ungemeiner Freude beglückseligt, indem sie gesehen und befunden haben, daß in den zerbrechlichen, verderblichen und körperlichen Dingen etwas Unzerbrechliches, Unverderbliches und Unzerstörliches verborgen liegt und daß dieses unvergängliche Ding der einige Wesens- und Kraft-Punkt ist, durch welchen alle Dinge geboren und erhalten werden. In diesem Punkt
liegt die Nahrungskraft und Arznei aller Körper.
Die Philosophen haben dieses Central-Wesen der natürlichen Dinge mit vielen Namen bemerkt, in Ansehen dessen, daß sich solches mit allen Dingen vermischt, jedoch in seinem eigenen Wesen unveränderlich bleibt, auch von keinem Element zerstört und verdorben werden kann. Die gemeinsten Namen, womit dieses Kraft-Wesen ist benannt worden sind: der allgemeine Welt-Geist, der Mercurius der Weisen, das geheime Feuer und dergleichen.“
Christoph Glaser, >Chymische Artzney- und Werck-Schul< 1677