Die Alchymie als ein Wesentliches des Lebendigen im Blickfeld der Paracelsischen Kunst

von Peter Hochmeier 

Die Terminologie der Spagyrik bedient sich weitestgehend aus dem traditionellen Begriffsverständnis der paracelsischen Literatur. Paracelsus Theophrastus von Hohenheim (1493-1541) war in der frühen Neuzeit einer ihrer bedeutendsten Vertreter, was u.a. in seinen eindringlichen Formulierungen und – damals noch unüblichen – deutschsprachigen Schriften einen Grund hat. Er galt schon zu seiner Zeit als kompetenter Kundiger, welcher es verstand, selbstständig und zugleich authentisch aus dem innersten Kern urzeitlich-zeitloser heilkundlicher Tradition zu wirken. Er faßte in seinen Schriften (Archidoxen, Paragranum, Herbarium etc.) die Grundlagen dieser Tradition pregnant zusammen und zentrierte sie auf die Stimmigkeit und Authentizität „aus der Sicht der Natur“, sowie auf die Erfahrenheit und Haltung des Heilkundigen („Der Arzt kommt alleine durch Gott und durch die Natur.“). Johann Agricola merkt in >Chymische Medicin< (17. Jhdt.) an: „Unter Tausenden weiß nicht Einer mehr den rechten modum

Paracelsi zu verstehen, denn wenn dieser auch nur einen Punkt wohin setzte, dann hatte er damit etwas gemeint.“ Und Leonhard Thurneisser (16. Jhdt.) erklärt den hohen Grad der paracelsischen Präparate: „Wenn er das Phlegma vom Spiritus schied, dann war es nur Spiritus und kein Phlegma mehr. Wenn er die Feces vom Salz schied, dann ließ er alle Schlacken hinten. Deswegen erlangten seine Präparationen solche Berühmtheit.“ Paracelsus stand in einer langen Reihe Kundiger – höher oder niedriger wie er – Jahrhunderte vor ihm und nach ihm, doch er trug wesentlich dazu bei, die authentische Tradition der Heilkunst und Iatrochymie im Abendland bis heute zu erhalten. Das war wohl seine wesentliche Leistung, und in dieser Weise begreifen ihn auch Vertreter östlicher Traditionen, welche in Asien nicht jenen

gewaltigen Bruch der Überlieferungen erleiden mußten wie die Kundigen Europas, hier wohl einsetzend schon mit der Ausdehnung des römischen Imperiums, bis zu seinem Höhepunkt im Mittelalter und mit seinen Spätfolgen bis heute. Für einen ayurvedischen oder tibetischen Heilkundigen ist das paracelsische Verständnis von Natur- und Heilkunde selbstverständlich und das Grundwissen seit Jahrtausenden gleichermaßen überliefert, gelehrt und angewandt, als da sind die 5 Elemente, die Prinzipien (Wind, Feuer, Erde), die Planetenkräfte etc. Dieses „Grundgerüst“ verteidigte Paracelsus vor allem gegenüber der seinerzeitigen „Schulmedizin“, welche in dem Dilemma der „Humoralmedizin“ feststeckte und sich damit von einem authentischen Natur- und Menschenverständnis abgekapselt hatte. Diese Verwerfung und dieses Vergessen des fünften Elementes, der Quintessenz, war eine verständliche Folge jener

geistfeindlichen Prozesse, welche sich im römisch besetzten Europa aufbauen und in den Zeiten der Inquisition ihren Höhepunkt erreichen konnten. Das Lebendige in nur 4 Elemente einzuteilen, das Pentagrammatische in Quader und Würfel zu pressen, das waren unbewußt erlebte und genauso aber bewußt propagierte Erscheinungen der, in den Menschen hineingezwungenen Ausrichtung auf einen

ausweglosen Materialismus – hermetisch formuliert – auf eine Saturnisierung der Kultur, unterstützt und gefördert ebenso von den, in zunehmenden Maße „dunkler“ werdenden, „religiösen“ Hierarchen im Westen, wie auch im damaligen Orient, welche ja den „Himmel“ für jeweils ihre Sekte beanspruchten und die Vorstellung des „Äthers“, als „Alles verbindendes Element“ naturgemäß verabscheuten. In dieser paracelsischen Epoche ließ in Indien die fanatische Islamisierung bis in die alten Südländer hinunter Bücher, Texte und Kundige brennen, und in Europa wundert man sich, daß in den Jahrhunderten nach der „historischen“ Inquisition immer noch soviel zu verbrennen übrig geblieben war. Während in Indien, und besonders in den, von den höchsten Gebirgen geschützten Regionen des Nordens, die authentischen

Überlieferungen erhalten blieben, gelang das in Europa nur bis zu einem geringen Grad, oft verborgen und vorsichtig, in den Reihen der praktisch arbeitenden Iatrochymiker, Alchymisten, Theosophen und dergleichen. Paracelsus stand also mitten in diesen Situationen, stritt standhaft gegen die „Handlanger, Bücheresel und Nachplapperer“, welchen die „Lehren“ des Avicenna, Galen und Konsorten als bequemer Schild über ihrer Unwissenheit dienten, gegen die, von lateinischen Mönchen aus dem Arabischen ins Griechische und daraus wieder – gefiltert oder einfach mißverstanden – übersetzten und ins mittelalterliche Abendland verbreiteten Texte, gegen pure Schriftgelehrsamkeit an sich, und eben gegen all dieses vermeintliche oder angelernte „Wissen“, welches „keinen Grund in der Natur hat, sondern alleine aus spintisierenden Köpfen“ kommt. Diese Ernsthaftigkeit, Tiefgründigkeit, Richtigkeit und Authentizität hat ihn zu jener unverwüstlich großen Persönlichkeit gemacht, deren Lehren bis heute einerseits eine zumindest europäische Rest-Tradition bewahren halfen, zum andern aber eben wegen dieser Richtigkeit und Tiefgründigkeit zwar viel und gerne zitiert aber viel weniger gerne gelesen, wirklich studiert, erarbeitet oder gar verstanden wurden und werden.

„Drum so lern Spagyria, die sonst genannt wird Alchymia, die lernt das Falsche scheiden vom Gerechten“ setzt Paracelsus als Grundlage zur Heilkunst. Was ist Spagyrik? Spagyrik ist gleichbedeutend mit Alchymie,

wobei ersteres ein griechisch-stämmiges Wort und letzteres vmtl. mittelasiatischen Ursprungs ist (kimye wurde im alten China und in der Mongolei sowohl die „Kunst“ als auch eines ihrer höchsten Präparate, das assimilierbare Gold / Aurum Potabile, genannt). „Alchymie – das ist die Kunst des rechten Umgangs mit den Dingen der Natur“ (Paracelsus) – welcher naturgemäß zu der Erkenntnis führt: „... das Höchste aber ist die Arznei.“ Und weiter: „Ein Ackermann, ein Bäcker, Rebenmann, Weber etc. welcher die Dinge der Natur in ihrem Wesen erkennt und durch seine Kunst dorthin führt, wo sie dem Menschen zum Nutzen sind, das ist ein Alchymist.“ All dieser „Umgang“ wird traditionell als „Kunst“ verstanden, und die Endprodukte als „Kunstwerke“. Paracelsus: „Alle Künste sind so weit geraten, nur die Arznei die liegt im Argen...“

Paracelsus beschreibt also einen Natur- oder Menschenkundigen an sich und macht deutlich, daß die Alchymie keine „erfundene, erdachte“, oder zu historischen Zeiten entstandene Angelegenheit eines bestimmten Faches sei, sondern einfach eine zeitlose Begrifflichkeit des kunstvollen und kundigen

Menschen, welcher zum Nutzen seiner Mitmenschen wirkt.

Alle „Kunst“ hat wiederum eine Grundlage, nämlich das, was wir heute gemeinhin als „Signaturenkunde“ bezeichnen, die „Kunst, die Zeichen der Dinge zu verstehen“. Eigentlich ebenfalls eine alltägliche Selbstverständlichkeit – im Idealfall. So schreibt Paracelsus: „Ars Signaturae ist die wichtigste von Allen – ohne ihr hat Alles ein Loch!“ Ars Signaturae setzt das Verstehen voraus, daß in Mensch, Natur und Kosmos das Wirkende stets „Kraft“ ist, und diese Kräfte sich mitunter – quasi nebenbei oder vorrübergehend – auch auf stoffliche Art ausdrücken. Die Vorstellung eines „Wirkstoffes“ wird damit schon an der Basis der authentischen Traditionen ad absurdum gehalten. Bsp.: Ein Tisch für sich wirkt nicht. Er ist die vorübergehende Manifestation von Idee (Quintessenz) und Wirkkräften, welche an seiner Signatur zu erkennen und zu befunden sind. Auch das ist eine allzeit erwiesene „physikalische Tatsache“, welche nur durch eine verwirrte Weltsicht nicht erkannt oder gar vergessen werden kann.

Deshalb sind die Verfahren spagyrisch/alchymistischer Präparation danach ausgerichtet, die innewohnenden Wirkkräfte der „natürlichen Dinge“ (Pflanzen, Minerale) von ihrer stofflichen Ausdrucksform zu scheiden (i.e.:„...die Prinzipien Sulfur, Merkur und Sal sind aufs genaueste von ihren

Schlacken zu scheiden.“) und dadurch das Essentielle, das Elixirische (Regenerierende, Hervorbringende) oder Quintessentielle (Idee; bei Parac. auch: Tugend) weitestgehend rein darzustellen und nutzbar zu machen. Entsprechend kunstvolle Präparationen erlauben dann die Bezeichnung Spagyrische Essenz,

Quintessenz, Elixir etc., welche wiederum in stofflicher Form (tradit.: flüssig –Tinctur, fest – Lapis) dargestellt werden. Hierzu merkt Paracelsus z.B. an: „Quintessenz hat Farbe und Feiste“. Spagyrik hat weder praktisch noch philosophisch oder historisch eine wesentliche Gemeinsamkeit mit der – ja erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit und in gewisser Weise als „kleiner – wenngleich oft nützlicher – Zweig des großen Baumes der Heilkunst“ – hervorgebrachten Homöopathie. Vielmehr wird Spagyrik / Alchymie im

authentisch-traditionellen Terminus als „Wurzel, Stamm oder auch Mutter der Heilkunst“ verstanden, wovon „... die meisten anderen Künste ihren Ursprung haben“ (> M. Crügner u.a.) – was verständlich ist, wenn man die Grundlage der ars signaturae nämlich erkennt als „eigentliches“ Verständnis der Naturkräfte und deren Vernetzungen und Wirken in Mensch und Kosmos, also als das naturgemäß älteste Wissen der

Menschheit.

Einen etwaigen Ursprung jener Traditionen etwa im Mittelalter ausfindig zu machen wird ebenso vergebens sein, wie der Versuch Paracelsus als „Erfinder“ von etwas Neuem anzusehen. Hunderte von iatrochymischen Texten seit der Erfindung des Buchdrucks mögen hierüber vordergründig einen falschen Eindruck erwecken, welcher jedoch bei deren Studium bald nicht nur verlischt, sondern sich ins Gegenteil wendet. Von Generation zu Generation sprechen die Kundigen stets von „den Alten, welche diese Kunst weit besser verstanden“. Wenn in den spätmittelalterlichen Texten von den „Alten“ gesprochen wird, dann bezieht sich das meist auf die frühmittelalterlichen, spätantiken oder antiken Kundigen (Democrit, Maria Proph., Zosimos etc.). In deren Texten wiederum wird dieselbe Meinung gegenüber den „Alten“ gefunden (> Arisläus, „Turba Philosophorum“), und man muß schließlich zu den asiatischen Traditionen gehen, will man darüber Notizen finden, vor allem nach Indien und Tibet, also dorthin, wo auch heute noch die mündliche Überlieferung – wortkorrekt – gemeinsam mit der Praxis wesentlich – und die Wesentlichkeit der Grundlagen selbstverständlich – ist. Iatrochymische Texte mit tausenden Versen sind selbst für die modernen, jungen post-graduate- Studenten des ayurvedischen Rasa Shastra (Alchymie, Iatrochymie) an den Universitäten Mumbais, Jaipurs, Delhis etc. eine leichte Übung. Gemeinhin gilt die Ansicht, daß die

„intertraditional“- stimmigen Grundlagen von Naturverständnis, Heilkunst und Iatrochymie/Alchymie während vieler Jahrtausende in Ost und West fast ausschließlich mündlich überliefert, und erst während der letzten ca. 3000 Jahre vermehrt niedergeschrieben wurden. Oftmals kann heute, besonders im

Westen, der bemüht Lernende das rechte Verständnis noch nicht finden und meint, daß Alchymie eine Art mittelalterliche Vorform dessen gewesen ist, was heute als Chemie bezeichnet wird. Wenngleich beide Felder zwar wortähnlich und in wenigem Arbeitsgerät (Tiegel, Retorten) sogar als gleichgeartet erscheinen

mögen, hat doch das eine mit dem andern nichts zu tun – nicht zuletzt wegen der – für die authentisch-heilkundlichen Traditionen unvorstellbar beschränkten Stofforientiertheit und ins Unwesentliche zerfallenen Art der letzteren, welche – paracelsisch formuliert „keinen Grund in der Natur hat“. Der assoziierte Begriff „mittelalterlich“ (im Zusammenhang mit „Alchymie“), müßte eher durch „steinzeitlich“ ersetzt werden – was aber dann die Suche nach etwaigen „Wurzeln der Kunst“ eher spekulativ und auch müßig machen würde – so wie manche Kundige anmerken: „Das Wissen der Heilkunst ist gemeinsam mit dem Menschen zu Vorzeiten in die Welt gekommen.“ In dieser zeitlosen Tradition hat also Paracelsus gestanden – und unzählige vor und nach ihm. Darin liegt ein Grund der Bedeutung von Spagyrik und Alchymie in der Heilkunst.

So wie jeder Mensch nach Art und Zunft das Seinige der Natur entnimmt, sucht auch der Heilkundige darin und verfährt damit auf seine Weise. Er muß aber tiefer suchen als manch Anderer, denn sein Handwerk ist eine große Bürde und seine Kunst von höchster Schönheit. Den Alten galten jene Weisen oder ‚Philosophen‘ als ‚heilkundig‘, die weit ins Wesen der Dinge vordrangen und jeden Schritt dorthin als zusammenhängend mit allen anderen Schritten bemerkten und bedachten. Das lernten sie von solchen, die ‚kundig‘ waren, und sie lernten in der Schule des Lebens und der Natur. In der Sudhoff’schen Gesamtausgabe der paracelsischen Schriften findet man die, während eines Vortrags des Paracelsus

in Basel vermerkte Notiz eines Studenten: „Spagyrik ist: aus dem Umgang mit der Natur ein gewisses Etwas haben.“

Es besteht eine enge Verwandtschaft zwischen dem Menschenkörper und der Erde, welche die Kundigen aller Zeiten zu der Anmerkung „wie innen so außen“ veranlaßt und zum Vergleichen der körperäußeren und -inneren Formen und Abläufen anleitet. Diese Verwandtschaft besteht in Körper und Geist und

erstreckt sich weit über die Erdensphäre hinaus in den Makrokosmos der Planeten und Gestirne.

Das was sich zum Beispiel im Geist des Menschen als zielstrebiges Wollen ausdrückt, bildet das Angesicht, wärmt Magen und Blut und wirkt im Mark der Knochen. Es ist ein Aspekt des Sulfur-Prinzips, des Feuer-Elements, welcher mit einem weiten Spektrum an Naturkräften korrespondiert und sich in zahllosen

Formen, Gestalten und Situationen ausdrückt. Diese Kraft spricht Paracelsus an, wenn er hinweist: „Die Brennessel ist Mars. Das Eisen ist Mars. Wer das Eisen kennt, kennt Mars usf.“.

Das, was uns die Dinge sichtbar und insgesamt sinnlich erfahrbar macht, ist die ‚Planetenkraft Venus‘. „Ohne Venus gebe es keine Künste,“ sagt Paracelsus. In diesem einen Satz stecken vielerlei Bedeutungen. ‚Venuskraft‘ heißt, daß alles in seiner natürlichen Proportion steht. Dadurch wird das ‚Webwerk Natur‘ erst möglich. Ohne diese Komponente kann ein ‚Ding‘ schlichtweg nicht existieren. Die gesamte Natur ist ein Kunstwerk. Wenn es „keine Künste gebe“, dann gebe es keine Natur – und umgekehrt – in einer jeden Begegnung des Menschen mit der Natur, sowie im Umgang mit dieser und ihren „Dingen“, findet Kunst statt, nämlich aus der Anforderung der Natur. Auf solche Art kann der Mensch in und mit der Natur leben, und es gibt keinen Grund für ein „gegen sie“. Im Menschen ist das Empfinden dieser Harmonie vollständig angelegt. Wie er sie ausdrückt, das signiert seine ‚Kultur‘.Selbst dort, wo der Mensch etwas „disharmonisch“ nennt, wirkt genauso jene venerische Kraft – sonst würde er nämlich gar nichts erkennen können, auch nicht das, was er im seinem kulturellem Konsens als Disharmonie bezeichnet. Aus Sicht der Natur ist Harmonie und Proportion ungleich vielfältiger, als im realtiven Empfinden. Deshalb ist jene (venerische) Kraft an den Äußerungen aller anderen Kräfte beteiligt, eben weil sie es den Kräftemischungen ermöglicht ‚hier in der Natur‘ zu wirken. Der signaturkundige Iatrochymiker J. H. Cardilucio (16. Jhdt.) spricht vom Motus Veneris, einer venerischen Art, die an allen „natürlichen

Dingen“ und Vorgängen genauso beteiligt ist, wie „Sonne und Mond“ als Wirken der großen Polarität, ebenfalls überall enthalten sind. Dieser Motus Veneris gilt für Kräuter und Körperteile, welche „dem Mars angehören“ genauso wie für solche, die dominant luft-, äther- oder wassersigniert sind und ist nur durch

verstärkte solare oder lunare Aspekte (also Aspekte der Grundpolarität) differenziert. Wo aber das stark hervortritt, was als besonders harmonisch, wohlproportioniert und anziehend empfunden wird, zeigt sich eben eine wesentliche Dominanz jener venerischen Kraft. Das sind zum Beispiel im Körper Hals und Nacken, Lenden, Nieren, die Proportionen der Knochen, Muskeln und Gewebe und anderes mehr, und außerhalb des Körpers ist es das Grün der Natur, sanfte Hügel, Wasser, Apfelbäume, Rosen, insgesamt die Rosengewächse und wohlschmeckende Früchte. So finden wir durchaus stimmige Bilder durch diese

traditionellen Termini in ihren Grundzügen erfaßt. Die quasi hauchfein differenzierten Aspekte jener so beschriebenen Kräfte reichen dann mit ihren Aspekten und Verknüpfungen ins Millionenfache – und stellen damit dann erst die eigentlichen Lehrinhalte jener Wissens-Schulen der Alten dar.

 

Alle Kräfte der Natur weben mit an den sich ständig wandelnden Ausdrucksweisen des Lebendigen worin es unzählige Ähnlichkeiten, niemals aber Gleichheit gibt. Körper und Geist des Menschen sind fixe Bestandteile dieses Webwerks. Der dritte Teil des Kontinuums Körper-Geist-Seele, also die Seele, hat nur bedingt Anteil an dieser Natur, denn sie ist von göttlichem Wesen. Durch sie belebt und beseelt der Mensch das Webwerk und erfüllt es mit Aufmerksamkeit. In den Mineralen schläft diese Seele, in den Pflanzen träumt sie, und im Menschenkörper beginnt sie zu erwachen. Dieses Erwachen macht den Menschen aus, und es macht ihn zugleich zum heilenden Künstler, zum Freund aller Wesen und

natürlichen Dinge. Deshalb richtet sich die Natur nach dem Menschen, und dieser zieht sie verantwortungsvoll mit sich – weiter in ihrer gemeinsamen Entwicklung – zur Erfüllung der Idee, zum Ausdruck der Quintessenz.

Will nun der Mensch sein heilendes, veredelndes Potential manifestieren, dann muß er die Art der Natur und die Position des Menschen darin verstehen lernen. Er muß die Zeichen und Verwandtschaften erkennen, welche alle ‚natürlichen Dinge‘, die Kräuter, Bäume, Minerale und Metalle sowohl mit der ‚großen Natur‘ – dem Makrokosmos der Himmelskörper – als auch mit dem Mikrokosmos des menschlichen Körpers, den Organen, Geweben und Säften bis hin zu den subtilen Hüllen des menschlichen Geistes verbindet. Mit dieser Signaturenkunde erlangt er eine Grundlage zur Heilkunst und vermag in

spagyrisch-laborantischer Praxis nachzuvollziehen, was er aus der Natur gelernt hat. So folgt die ‚Kunst des Menschen‘ der Natur, und die Natur folgt dann dem Menschen und hilft ihm, wo nötig, ‚Heilung‘ zu erfahren. Dies ist ein Wesentliches im Lebendigen.

P.H.



„Die Natur zeichnet ein jegliches Gewächs, das von ihr ausgeht, zu dem, dazu es gut ist. Darum, wenn man erfahren will, was die Natur gezeichnet hat, so muß man es an dem Zeichen erkennen, was für eine Tugend in ihm ist. Denn das muß ein jeglicher Arzt wissen, daß alle Kräfte, so in den natürlichen Dingen sind, durch die Zeichen erkannt werden ... Es soll sich dessen niemand verwundern, daß ich die Zeichen von den Dingen vortrage, denn nichts ist ohne ein Zeichen. Das heißt: Die Natur läßt nichts von ihr gehen, ohne daß sie das nicht  bezeichnet, was in ihm ist. Ihr seht ein Exempel an den Menschen, die euch nicht fehlanzeigen, was für ein Herz in ihnen gesippt oder angeleegt und genaturt ist. Und es ist nichts so Geheimes im Menschen, das nicht ein auswendig Zeichen an sich hätte. Die selbige Lehre von der Signatur ist gar aus dem Brauch gekommen und es ist ihrer gar vergessen worden, woraus denn großes Irrsal erfolgt ...“

(Paracelsus, Von den Natürlichen Dingen; um 1520)