Zu den Wegen der Überlieferung in Europa, vom späten Mittelalter bis in die Neuzeit
nach: „Leben des Thurneisser“ des Historikers J.C.W.Moehsen, 1783
„Die europäischen Fürsten hatten von Anfang an das Glück, Adepten in ihren Ländern zu besitzen, von sich gestoßen und sich so fürchterlich gemacht, daß Lullius aus England und Spanien, Flamel und Zachaire aus Frankreich und Morienus aus Italien flüchteten. Die britischen und schottischen Philosophen wurden durch die inneren Unruhen im Land nach den orkadischen Inseln getrieben. Auch in Deutschland hatten die Feuerphilosophen gleich von den ersten Zeiten an widrige Schicksale und mußten sich verborgen halten.
Nicht der Haß der Fürsten war ihnen entgegen, sondern deren unumschränkte Liebe zur Zudringlichkeit fiel ihnen beschwerlich, weil sie mit Gefahr verknüpft war. Wenn die Fürsten auch nur zurückhaltende, finstere Chymiker für Adepten hielten, so faßten sie schon eine solche gewaltige Neigung zu ihnen, daß sie diese zeitlebens nicht von sich lassen wollten. Sie liebten die Kunstgenossen bis zum Totschlagen, (...).
Die vielen Kriege der Türken in Europa hatten aber die inneren asiatischen Provinzen von räuberischem Volke gereinigt. Die sanfte Regierung des Mogulkaisers Akbar gab Indien sowie den übrigen asiatischen Provinzen große Vorzüge. Das Klima war angenehm, fruchtbar und insgesamt vortrefflich. Man lebte in Freiheit und war sich des Seinigen gewiß, Häuser, Kisten und Kasten wurden nicht visitieret. (...) konnte ein jeder in seinem Hause schmelzen, destillieren, sublimieren, transmutieren und tun was ihm gefiel, ohne daß man sich um seine Geschäfte viel kümmerte. Asien war noch im vergangenen Jahrhundert (> Anmk.: hier das 17.) ungeachtet zuweilen vorfallender innerlicher Unruhen, die Zuflucht und auch die Schule der europäischen Adepten. Wie Johann Agricola im Anfange des vergangenen Jahrhunderts nach Asien reiste, um Philosophen zu suchen, da traf er einen deutschen Arzt an, der eine Tinctur besaß (...). Dieser mußte nach Asien flüchten, weil er in Deutschland bekannt geworden und man ihn um Leben oder Freiheit bringen wollte. Auch der berühmte Adept, welcher 1666 den Helvetius (…) überzeugte (J. F. Helvetii, >Vitulus aureus<), hielt sich selbst in Holland nicht sicher und nahm seinen Weg nach Palästina. Paul Lukas traf noch 1705 zu Burnus Bassy in der Gegend von Nicea und Prusia einen hundertjährigen Dervish an, der nicht älter als dreißig Jahre zu sein schien und zur Gesellschaft des Flamel gehörte. (...)
(...) der Berg Athos war den Türken und Christen heilig. In den vielen Klöstern auf diesem Berge wurden die seltensten und kostbarsten griechischen, arabischen und anderen Handschriften aufbewahrt. Thevet, ein Verehrer der Alchymie, welcher Mitte des 16. Jhdts. mit Wilhelm Posteln diesen Berg bereiste, hat viele Bildnisse der alten Philosophen nachzeichnen und zu seinem Werke in Kupfer stechen lassen (André Thevet, >Pourtraits et Vies des hommes illustres Grecs, Latins et Payens<, Paris 1584). Den vornehmsten Schatz von Handschriften dieser Art besaß das Hauptkloster des heiligen Basilius auf dem Berge Athos, und das auf dem Berge Sinai. Diese verwahrten unter vielen anderen die chymischen Schriften des Geber, Avicenna, Adfar, Rhazes, Calid, Alfarabi und der weit älteren griechischen Alchymisten mit Figuren und Charakteren, unter welchen die chymischen Prozesse verdeckt wurden. Selbst unter den griechischen Mönchen dieser Klöster sind der Abt Anastasius Sinaita, die Mönche Isaak, Kosmas, Sergius und andere seit dem fünften Jahrhundert als alchymistische Schriftsteller bekannt geworden. Die Alchymisten zu Fez, welche noch zu Thevets Zeiten nach den Vorschriften des Geber arbeiteten, ( ... ).
Arabien selbst gehörte ehemals unter diejenigen Reiche des Morgenlandes, welche am meisten von Deutschen besucht wurden. Die Araber waren nicht alleine als Alchymisten, sondern auch als große Ärzte, Kräuterkenner und Astrologen berühmt. (...).
Außer den Morgenländern gehörten noch die orkadischen Inseln, die nordischen Reiche und Spanien zu den Ländern, nach welchen die Wanderschaften vorzüglich gerichtet waren. England und Schottland hatten der Abt Cremer, der Mönch Rogerius Baco, George Ripläus, Thomas Northon und die privilegierten Alchymisten Johann Cobbe, Thomas Trafford, Thomas Atzheton, Johann Mistelden und andere berühmt gemacht. Deren Schüler Chaucer, Charnok, Blomfeld, Gawer, Michael Scotus, Robert Fludd, Wilhelm Buttler, Alexander Sethonius, Eduard Kellei, Johann Dee und viele mehr sind den Liebhabern der Kunst bekannt. Manche von ihnen hatten sich wegen der vielen Unruhen in beiden Königreichen, im 15. Jhdt. nach den orkadischen Inseln begeben, wo sie sich als Eremiten ungestört der Alchymie widmen konnten. Doch kamen zuweilen einige von ihnen woanders zum Vorschein, um chymische Prozesse zu zeigen.
Mauren und Araber lehrten ehemals die Künste in Spanien in öffentlichen Schulen, und obgleich sie 1491 beinahe aus ganz Spanien vertrieben worden sind, so waren doch noch in der letzten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts einige Schulen zu Granada, Sevillien, Toledo, Cordoba und Salamanca übrig geblieben, wo diese Künste heimlich und in Gewölben unter der Erde gelehrt wurden.
(Nach dem Vorigen) wird man den Grund einsehen, warum Naturforscher, Ärzte und angehende chymische Philosophen des 16. und der vorhergehenden Jahrhunderte ihre Wanderschaften so häufig nach jenen Ländern richteten. Sie verbrachten darauf viele Jahre und reisten nicht ohne Absicht und nur allein aus Neugierde, sondern scheuten keine Beschwerlichkeiten, um zu einigen gründlichen Erkenntnissen zu gelangen.
Paracelsus war unter allen Deutschen, welche durch weite Reisen Wissenschaften erlernet, der berühmteste. Schon sein Vater führte ihn zur Arzneiwissenschaft an, und nachher hielt er sich bei dem berühmten Abt Tritheim und sonderlich bei Siegmund Fuggern zu Schwaz auf, einem Liebhaber der Alchymie und Bergwerksverständigen. Er las die Schriften der arabischen Alchymisten und bereiste Frankreich, Spanien und Arabien, um Wissende zu suchen. Bei seiner Rückkehr soll er zu Konstantinopel den Trismosin gefunden haben, der ihm das Geheimnis offenbart hat. Die Araber führten ihn zu einer Kenntnis der Astrologie, die er nachgehends in seinen Schriften als die vierte Grundwissenschaft der Medizin beschrieb.“
(nach: J.C.W. Moehsen, „Leben des
Thurneisser“)
S. Trismosin, der Lehrer des Paracelsus