Als die Zeit der ‚großen Alten‘, wie sie in den alchymistischen Texten in Ost und West bezeichnet wurden, vorüber, die Epoche der Antike und Spätantike mit all ihren Kriegen und Wirrnissen über die Welt geglitten war, und das ‚dunkle‘, ‚eiserne Zeitalter‘ sich anbahnte, stand die ‚Hohe Kunst‘ dort, wohin sie sich zurückgezogen hatte immer noch wie seit Jahrtausenden fast ausschließlich in mündlicher Überlieferung. Einer von sehr Wenigen, welcher schrieb – nämlich nicht ‚darüber‘, sondern ‚daraus‘ – war Ko Hung (Ge Hong, aus dem südwestlichen chinesischen Reich), und er schrieb nicht nur, um für die Nachkommen Naturwissen, Rezepturen und Verfahren zu notieren, sondern auch, um seine Gedanken, Gefühle und Lebenserfahrungen mitzuüberliefern. Damit gibt er uns noch heute offene Einblicke in das Leben eines ‚Kundigen‘ jener Zeit. Manche seiner Texte sind verschollen oder unzugänglich, doch das was gelesen, oder gar in den Traditionen mündlich berichtet werden konnte beeinflußte das Naturverstehen, die Kosmologie, sowie Alchymie und Heilkunst durch die Jahrhunderte. Noch im zaristischen Rußland sprachen die Kundigen mit hohem Respekt vom ‚Großen Ko Hung‘. Im Westen reichte sein Einfluß zumindest bis Latvia, Polen, Ungarn und Tschechien, im Osten waren und sind es Zentralasien, Mongolei, Tibet und China, wo seine Texte gesucht und geschätzt werden. Auf diesen bedeutenden Menschen wollen wir hier unser Augenmerk richten:
aus: Ko Hung’s Pao-p’u tzu wai p’ien (ca. 320 n.Chr.)
Ko
Hung: Kein Geschöpf ist klüger als der Mensch. Er ist mit
allem ausgestattet; er kann sich Alles
dienlich machen. Wenn er aber das Tiefgründigste erreicht, dann kann er die Fülle des Lebens und immerwährende Vision erlangen. Er weiß, daß die höchsten Medizinen Kraft haben, seine Lebensspanne auszudehnen, und er benutzt sie, um auf diese
Art Weisheit zu erlangen. Er kennt das hohe
Alter, welches manche Schildkröten und Kraniche erreichen und augmentiert mit dem Wissen darüber seine eigene Lebenszeit.
(…)
Es geht aber darum, daß gewisse Tiere in einer gewissen Kunst den Menschen weit übertrefffen. Das trifft nicht nur für die Schildkröte und den Kranich zu. Der berühmte Fischer Fu Hsi hatte zum
Beispiel eine Spinne als Lehrer, von der er die Kunst erwarb, sein Netz zu weben. Shoa Hao erlernte die Bestimmung der Jahreszeiten von den Wachteln. Der Gelbe Kaiser wartete auf den Schrei des
Vogel Phönix, damit er seine Blasinstrumente danach stimmen konnte. Yao beobachtete die Ming-Chieh-Pflanze, um durch sie die Monate zu verstehen. Das Tier Chung-kuei kennt die Vergangenheit, das
Tier Kan-ch’üeh kennt die Zukunft. Der Silberfisch kann anzeigen, wenn das Wasser knapp wird, das Ephemeron weiß wo Quellen verborgen sind.
Es gibt also keinen Grund überrascht zu sein, daß auch Schildkröten und Kraniche eine besondere Kunst (zum langen Leben) haben. Deshalb sind in den Klassikern der Weisen einige hundert Beispiele
himmlischer Prozesse notiert, die zu Langlebigkeit führen. All diese Prozesse variieren in Dauer und Komplexität, und es muß niemand bei Schildkröte und Kranich verweilen und alles imitieren was
sie tun. Ehrenhafte Menschen höchster Art erheben ihre Gedanken zu Gott, zum Spontanen und zum Mysterium, aber für den gemeinen, mit ausschließlich kurzsichtigen Interessen beschäftigten Menschen
ist es sehr schwer, Weitsichtigkeit und Weisheit zu erlangen.
Frage: Es gibt keine modernen Systeme dieser Kunst. Wußten nur die Uralten davon?
Ko Hung: Diese Frage ist ein Auswuchs an Ignoranz! Sie stellt auch
nicht den Blickwinkel des Weisen dar. Immer schon sprechen wir über die Mysterien, über die Bewegungen des Himmels, über Sonne, Mond und die fünf Planeten. Wir diskutieren ihre Schätze, ihre
Konstellationen und Bestimmungen und blicken hinauf zu den Zeichen der Wolken. Und wir beugen uns hinab zur Erde und beschreiben die Sprünge im Schildkrötenpanzer und andere Zeichen. Wir erkennen
die sechs Emotionen Freude, Ärger, Sorge, Furcht, Liebe und Haß, studieren die Ursprünge und finden die organisierenden Prinzipien heraus. Aber untalentierte Menschen niedriger Gesinnung können
die verborgenen Ordnungen nicht erkennen weil sie ihre Klarheit für Bettelgeld verkaufen und die innere Subtilität verlieren. Sie halten Faßbinder und Radmacher für niedrige Arbeiter und sehen
nicht das Mysterium in ihrer Tätigkeit, die wahre Kunst in jedem Handgriff. Daran könntest du aber ermessen, wie weit sie davon entfernt sind auch nur die Zweige, ganz zu schweigen von den
Wurzeln, unseres himmlischen Prozesses zu erfassen. Deshalb waren Leute wie Ch’ich Sung tzu und Wang Ch’iao, welche die Kunst ausübten, gar nicht daran interessiert irgendjemandem mitzuteilen,
wie sie dies taten.
Weil es aber schon immer
solche Fragen wie eben deine jetzt gegeben hat, schrieben auch viele der Uralten die Dinge auf, damit sie jene erreichen können, welche es verlangen. Wenn Einer diese Künste in seinem Herzen
versteht und davon angezogen ist, dann soll er in vollem Glauben praktizieren. Aber solche die Zweifel haben sind naturgemäß nicht für diese Tätigkeiten bestimmt. Es gibt keinen Sinn zu fragen,
ob denn die Uralten die einzigen waren, welche diese Dinge verstanden hätten, während man selbst in der Ignoranz verweilt. Ich weiß in genau dieser Gegenwart, daß Langlebigkeit erreichbar ist, so
wie ich weiß, daß ich mich nicht von den Dingen zu ernähren brauche, welche die gemeinen Leute essen. Ich weiß die Wege der Destillation (…) und wie Gold oder Silber (…) präpariert
werden. Ich weiß auch, was dich plagt, nämlich, daß es dich irritiert, daß ich trotz meiner steten Suche nach den verborgenen Gründen und
Zusammenhängen dieser Dinge kein „vollständiges Wissen über alle Dinge“ besitze. Und meine Antwort darauf ist folgende: Wenn man die Menschen unserer Zeit dazu aufrufen würde, alle Dinge
nachzuweisen, von denen sie wissen, daß es sie gibt und ebenso alle Dinge von denen sie nicht beweisen können, daß es sie nicht gibt, dann würde man weiterhin nur sehr sehr wenig über diese
unsere Welt wissen. Deshalb sagt Lao Tse, daß ein Katzenkopf (eine Erbsenart) ein Heilmittel gegen Ratten (gemeint ist: Abszesse) ist und daß ein Specht (eine Bohnenart) hohle Zähne verhindern
hilft, weswegen wir verstehen können, daß Dinge miteinander vergleichbar sind und daraus eine entsprechende Wirkung hervorgeht. Daß aber Hanföl den Wein verdirbt und Krabben den Lack, darin
erkennen wir keinen Zusammenhang – weil es eben insgesamt keine kategorischen Erklärungen gibt. Wie sollten wir jemals auf rationale Weise die Verbindung von abertausenden Dingen verstehen
können?
Das wäre wie, wenn du angenommen eine sehr schwere Krankheit hättest und dagegen eine sehr starke Medizin benötigst, du diese Medizin aber solange nicht anwenden willst, bis du nicht genau weißt wer diese Medizin zum ersten Mal hergestellt und angewendet hat, war es nun Shen-nung oder Ch’i-po, und wie sie ihr Verstehen von den einzelnen Zutaten erlangt haben und welche Bedeutung die einzelnen Kräuter darin hätten usf. – Du würdest sicherlich ein Narr genannt werden.(…)
Unsere weisen Vorfahren berichten über an die tausend Beispiele einzelner Persönlichkeiten, nennen ihre vollen Namen, beschreiben wie sie ihre Ergebnisse erlangten und erzählen im Detail ihre Taten. Diese Berichte sind nicht erfunden oder eingebildet. Wenn Du glaubst, sie alle wären Ausnahmen, welche schon mit ihren Fähigkeiten geboren wurden, dann erinnere ich Dich, daß in allen Berichten betont wird, daß diese Menschen stets von Lehrern gelernt (…) haben.